Eine Frage der Leerräume

frutigerschrift.chAdrian Frutiger ist tot. Eben lese ich es im Tages-Anzeiger. Ich trauere um den grossen Schriftengestalter. Um so mehr, als Frutiger mit seiner Arbeit diejenige von uns Texterinnen und Textern förderte. Mit Schriften inszenieren wir unsere schriftlichen Botschaften und Geschichten; Schriften bringen unsere Texte an den Mann, respektive die Frau.

Schrift ist alles andere als banal. Sie besteht aus lauter kleinen gestalteten Elementen und kann in Teilen oder ganz zur „Kunst“ gestaltet werden. Ah – mir wird wehmütig ums Herz, wenn ich an die vielen tollen Typoplakate von kulturellen Einrichtungen denke. Typografie als Informationsvermittlerin aber auch als Kunst – da werde ich schwach. Die schönsten Plakate finden sich übrigens in der Sammlung des  Museum für Gestaltung in Zürich, die jederzeit einen Besuch wert ist.

Schrift wirkt auf die Gestaltung von Kommunikation ein, kann diese verhunzen oder stärken. Gleichzeitig ist Schrift ein Ausdruck ihres Gestalters. Dieser unterliegt Einflüssen seiner Geschichte, aktuellen Modeerscheinungen und Gegebenheiten. Die verzierten Initialen mittelalterlicher Schriften und Bücher zeigen dies. Die Künstler gestalteten die Initialletter als kommunikatives farbiges Bild, in das sie ganze Geschichten verpackten.

Jede Epoche hat ihre typografischen Eigenheiten und Präferenzen. So erfreute sich die gebrochene «Fraktur» über mehrere Jahrhunderte grösster Beliebtheit als «Deutsche Schrift». In den 1930er Jahren wurde die «Fraktur» von den Nazis überhöht und als wahre deutsche Schrift propagiert – Tempi passati – Gottseidank!

 

«Eine Frage der Leeräume»

Leeräume waren ein elementarer Anspruch Frutigers an seine Gestaltungen von Schriften. Er selbst bezeichnete sich als einen, der angewandte Kunst schaffte. Deshalb erstaunt es nicht, dass ihm der «Leerraum» ein ebenso wichtiges Gestaltungsmittel war, wie jede einzelne Letter. Die meisten bildenden Künstler arbeiten mit dem Raum.

Jedem Buchstaben seinen Raum zu geben, diesen in der Beziehung zur vorgängigen und zur nächsten Type zu perfektionieren – Leerräume, die dem Auge Gelegenheit zum Betrachten und dem Geist Zeit zum Erfassen geben – das ist grosse Kunst, auch wenn wir sie nicht als das und nicht bewusst wahrnehmen, diese Kunst beeinflusst uns tagtäglich.

Als Texterin fühle ich mich dem Typografen seelenverwandt, ist Frutiger eines meiner Vorbilder. Nicht, weil ich eine künstlerische Seite habe oder meine Texte «Kunst» sein sollen. Sicher nicht. Letztere dienen ja kommerziellen Zwecken. Nein, sondern weil ich mit Pausen und Abständen – Rhythmus und Takt – die Sprache zum Text erhebe. Diese Qualität braucht Zeit; man schmiert sie nicht in fünf Minuten hin. Erklären Sie das einmal einem neuen Kunden.

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